Nistkasten-Kamera

Tagebuch


Montag, 15. November 2004

Um kurz vor 7 Uhr beendete die Kohlmeise ihre Nachtruhe im Nistkasten. Das ging so plötzlich, daß man den Eindruck hatte, sie wäre von irgend etwas gestochen worden (vielleicht von der sprichwörtlichen Tarantel?). Ihr Schlaf war ziemlich unruhig - mindestens 20 mal war sie während der Nacht kurz aufgewacht, hatte sich gestreckt, gekratzt, das "Schlafbein" gewechselt und den Kopf unter den anderen Flügel gesteckt. Draußen war es gerade hell geworden und die Amseln piepten schon eifrig. Meine Meise scheint eine richtige Schlafmütze zu sein! Nun aber putzte sie sich ausgiebig, dehnte und streckte sich, indem sie wechselseitig die Flügel spreizte und das entsprechende Bein zur Seite streckte. Dies erinnerte mich stark an unseren Wellensittich (†1987); anscheinend ist dies ein angeborenes Verhalten von kleinen Vögeln.

Nachdem die Meise ihre Morgenwäsche hinter sich hatte, schien sie etwas ratlos zu sein. So nach dem Motto "Wo bin ich? Wie komm' ich hier raus?". Sie guckte sich um, schaute nach oben, wirkte etwas nervös, putzte sich - scheinbar aus Verlegenheit - weiter, guckte durch einige Bodenlöcher, aber die waren mit 5 mm wohl etwas zu klein zum Hinausfliegen. ;-) Schließlich ging sie auf demselben Wege, wie sie 14 Stunden zuvor gekommen war - wozu sie allerdings mehrere Anläufe... äh... Anflüge benötigte.

Draußen setzte sie sich gleich in den Baum, ordnete nochmal kurz ihr Gefieder, flog dann links ums Haus herum und kam kurz darauf mit einem Artgenossen wieder. Zusammen machten sie sich dann auf und davon. Vielleicht frühstücken, obwohl sie das ja auch auf meinem Balkon hätten tun können, aber anscheinend gab es in der freien Natur zur Zeit noch etwas Besseres als Meisenknödel. Der Schnee der letzten Tage war ja sofort wieder weggeschmolzen, und noch gab es genug Beeren an den Sträuchern, und sicherlich auch die eine oder andere Fliege. Oder vielleicht auch nicht, denn die Temperaturen müssen in der letzten Nacht um den Gefrierpunkt herum gelegen haben; zumindest sahen meine drei Paprikapflanzen heute Morgen plötzlich ziemlich erbärmlich aus - alle ihre Blätter hingen schlaff wie Gummifetzen herunter - Frostschaden. Macht nix, sie wären sowieso nix mehr geworden, und nächstes Jahr gibt's neue.

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Mittags spielte ich einmal aus Spaß bei geöffneter Balkontüre Meisenrufe von einer Vogelstimmen-CD. Die Meisen waren gerade irgendwo im Gelände unterwegs und nicht zu sehen. Aber sofort, als die Meisenstimmen von der CD erklangen - zuerst Blaumeisen, dann Kohlmeisen -, kamen 3 oder 4 Kohlmeisen auf den Balkon geflogen, wirkten etwas aufgeregt und sahen sich ratlos um, wo denn nun der "Fremdling" mit dem komischen Akzent steckt. Sie flogen in alle Ecken des Balkons, zum Nistkasten, auf das Rohr der Seitenwand, auf den Boden, konnten aber wohl nichts ausmachen. Welch' Wunder aber auch... ;-) Daß die Wirkung der Stimmen-CD so groß sein würde, hätte ich nicht erwartet; es erinnerte mich an mein Erlebnis mit den beiden Kuckucken in den Isarauen im Sommer, die auf meine nachgemachten Kuckuck-Rufe auch sofort ankamen, um den vermeintlichen Rivalen ausfindig zu machen. - Naja, jedenfalls weiß ich jetzt, wie man die Meislein notfalls anlocken kann, wenn man mal schnell ein Gruppenfoto von der Clique braucht... ;-)

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Auch heute nacht ist der Nistkasten wieder "besetzt". Ich vermute mal, daß sich die Meise ihn jetzt für den Winter fest "reserviert" hat. Draußen ist es diese Nacht -1°C, da ist es in einem windgeschützten Nistkasten bestimmt angenehmer als draußen. Und wer weiß, vielleicht bleibt sie ja bis zum Frühjahr, um dann zu brüten. Sind ja nur noch 4 Monate! :-)

In Diskussionsforen und im Usenet habe ich übrigens erfahren, daß der Elster-ähnliche Ruf zum normalen Repertoire der Kohlmeisen gehört. Also doch keine "Imitation". Aber - wie Monica im o.g. Usenet-Beitrag schon schrieb: Wäre mal interessant zu erfahren, ob sich dieser Ruf nicht "evolutionstechnisch" über einen langen Zeitraum so entwickelt hat...


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